Sprachlos.
Zur Zeit ist in Poitiers das Festival "Les Expressive". Heute waren Massen an Menschen auf den Straßen, in den Gassen, saßen in Cafés, spielten mit ihren Kindern oder hörten den Bands zu, die auf der Straße spielten. Julia und ich haben uns zusammengefunden um zu entdecken, was es denn mit dem Festival auf sich hat und dem Event, welches um 16:30uhr auf dem Platz vor dem Rathaus beginnen sollte.
Menschen hatten Masken auf. Schöne, bunte Masken, verziert mit Steinchen. Andere trugen nur selbst gefertigte aus Papier und wieder andere verhüllten ihr Gesicht mit einem Schal. Alle standen herum und warteten auf etwas. Auf was, das wussten wir nicht.




Auf einmal fingen an, einige der Maskierten zu trommeln, eine Schlange bildete sich und alle maskierten Leute folgten den Trommeln durch die Stadt.


Als alle an uns vorbeigelaufen sind, dachten Julia und ich uns, dass wir uns einfach mal anschließen, ein wenig hinterher bummeln und uns das anschauen. Rotes und pinkes Feuer erfüllte die engen Gassen, was bis dahin auch noch sehr spannend war. Als dann aber der Rauch sich verstärkte, verschiedenen Menschen immer mehr Flyer verteilten, ein harmloser weißer Autobus, bunt angemalt worden ist, kam dann doch ein mulmiges Gefühl in mir hoch. Dennoch blieben wir tapfer und schauten uns das noch ein wenig an, bis zu dem Moment wo ein Sprachchor losging, der folgendes verlauten lies: Liberté des prisonniers - Freiheit den Gefangen.






Auf einmal machte aus das Plakat einen Sinn und Julia und ich haben uns schnell von den Menschen abgeseilt.
Wir sind zurück zum Hôtel de Ville und haben uns in einem Zirkuszelt eine Band für ein paar Minuten angeschaut.


Weiter ging es dann durch die belebte mittelalterliche Innenstad Poitiers zur Notre-Dame-la Grande, wo wir auf Dave gestoßen sind. Eine kleine Gruppe, gekleidet im fröhlichen Orange, trommelte und machte Musik auf anderen Instrumenten. Menschen standen herum, wippten mit den Füßen im Takt, Eltern hatten ihre Kinder auf den Schultern. Vergessen war die Demonstration von eben. Zwei Mädchen tanzten zusammen und blickte ab und an zu mir, da ich sie ein wenig beobachtet hatte, da sie einfach sehr niedlich aussahen. Sie machten sich einen Spaß daraus und versteckten sich ab und zu hinter den Beinen ihrer Eltern, um dann hervorzuschauen zu mir und zu grinsen. Ich ließ meinen Blick über die Menschenmassen schweifen, schaute entzückt die alten Häuser an und beobachtete einen Mann, der das ganze Geschehen von einem Fenster mitverfolgte und ich fühlte das französische Leben und dachte, das ist schön, daran kann man sich gewöhnen.



Auf einmal rasten ein paar Streunende Hunde durch die Menschenmassen und die fröhlichen Gesichter der Mädchen erloschen. Normalerweise gehören die Hunde zu ein paar Obdachlosen, aber sie liegen meist am Straßenrand und ihr Herrschen war auch weit und breit nicht zu sehen... Bekannte Trommeln und Rufe ertönten aus einer Gasse und einmal wurde der Wolken bedeckte Himmel mit roten Racketen unterbrochen, die einfach so in die Menschenmenge runterfielen. Die maskierten Protestanten suchten sich einen Weg durch die Menschenmenge, die eben gerade noch die Musik genossen hat. Zuschauer machten ihnen Platz und ließen sie gewähren, als allerdings die Rufe immer lauten wurden und direkt hinter Julia und mir, die Scheiben der BnP Paribas Bank eingeschlagen worden sind, von ein paar maskierten Männern mit Eisenstangen, brach schon ein wenig Panik aus.
Bilder wurden im Nachhinein gemacht


Kinder fingen an zu schreien und zu weinen. Einige Menschen flüchteten in die Kirche. Julia, Dave und Ich sind aus dem Weg gewischen und konnten nur mit ansehen, wie sogar die Tür der Bank geöffnet wurde, durch reine Brutalität und Gewalt.
Ein Junge wurde von seiner Mutter getrennt und stand weinend und verloren auf dem Platz. Zum Glück kamen aber ein paar Frauen und haben ihn mitgenommen und ihn gefragt wie denn seine Mutter aussieht.
Polizei rannte herbei, ausgestatten mit Helmen, Schlagstöcken und Tränengas, welches sich mit dem Rauch der Racketen und Fackeln vermischte. Es stach in der Nase, das Atmen fiel kurze Zeit schwer und ich war froh, dass ich keine Kontaktlinsen drin hatte, sondern meine Brille heute bevorzugt habe. Zum Glück bekamen wir nur eine leichte Brise Tränengas ab. Wir sind um die Kirche gegangen und konnten gerade noch sehen, wie sich die Türen der Kirche schlossen und viele Menschen drinnen Schutz gesucht haben. Einige Leute auf der Straßen hatten rote trändene Augen, Taschentücher und Schals wurden sich vor den Mund gehalten um das Einatmen des Gases zu verhindern. Die Stimmung war im Eimer. Und ich fragte mich einfach nur...Warum? Warum die Gewalt? Warum bei so einem fröhlichen Fest? Besonders dort wo soviele Kinder anwesend sind, die doch diesen Tag in schöner Erinnerung behalten sollten? Das sind genau die Bilder, die man immer aus dem Fernsehen kennt...und jetzt ist man selber mitten drin, unerwartet, überrascht, überwältigt und überfordert.
Ein paar Minuten später ertönte die Musik der orangenen Trommlergruppe wieder und ein paar Menschen hörten zu, allerdings die Hälfte weniger als zuvor und richtige Stimmung kam auch nicht mehr auf.
Wir sind zum Place de la Liberté gegangen und haben einen Kaffee getrunken (bzw ich eine Schokolade) in dem Café wo wir auch gestern waren.
Dann habe ich den Weg nach Hause angestrebt und wollte mit dem Bus fahren. Bin zurück zum Hôtel de Ville gelaufen und habe mich schon über die abgesperrten Straßen gewundert...denn wie sollen denn dann die Autos dort lang fahren. Ein quitschgelber Zettel in der Bushaltestelle machte dann deutlich, dass es ab dort keinen Bus mehr geben wird.
Na toll, dachte ich mir. Es wird fast dunkel und ich habe einen 40min Fußmarsch vormir, durch eine Stadt die momentan sehr verwüstet aussieht. Umgekippte Mülltonnen, eingeschlagenen Bushäusschenscheiben, beschmierte Denkmäler und Flugblätter der Demonstraten auf dem Boden.
Ein wenig mulmig machte ich mich auf den Weg und war froh, als noch ein paar andere Leute dem Weg des Busfahrplans folgten. An irgendeiner Stelle hinter dem Pont Neuf endete dann die Absperrung der Polizei und Busse fuhren wieder. Ich stand also bei einbrechender Dunkelheit in einer enge Gasse, versuchte mich zu beruhigen indem ich mein Harry Potter Buch las und wartet auf einen Bus.


Der dann auch kam.
Erleichterndes Aufatmen, als ich dann endlich im 5. Stock meines Hauses angekommen bin, die Tür hinter mir schließen konnte und in meiner kleinen sicheren Höhle war.